Die wohl merkwürdigste aller in der botanischen Ordnung KONIFEREN (Coniferales / Nadelbaumgewächse) systematisch zusammengefassten Gehölzpflanzen ist die Araucarie (Araukarie) mit dem wissenschaftlichen Namen Araucaria araucana. Nähert man sich dieser Pflanze ohne botanische Vorkenntnisse an, würde man sie möglicherweise spontan für eine Verwandte der Palmlilien der Gattung Yucca, eine Aloe oder ein Kakteengewächs halten, denn auf den ersten Blick hin haben die dreieckigen, lederharten und mit stachelspitzen Enden bewehrten Blätter, die in symmetrischen Spiralen angeordnet geometrisch exakt alle Wuchsachsen des Baumes umrunden, wenig Ähnlichkeit mit den gemeinhin bekannten Nadeln der Nadelbäume.
Araucaria araucana. Symmetrisch-spiralige Anordnung der Blattnadeln um die Wuchsachsen der Pflanze.
Zur wissenschaftlich-systematischen Gattung ARAUCARIA zählen heute insgesamt 19 Arten, von denen nur 2 auf dem südamerikanischen Kontinent beheimatet sind, während die überwiegende Mehrzahl in Ostasien, Australien, Neu-Seeland, Ozeanien und Indonesien wächst. Weitere nahe Verwandte der Araucarien sind die ostasiatischen KAURI-Bäume der Gattung Agathis mit 21 Arten, sowie Wollemia nobilis, eine vom Aussterben bedrohte und nur im Regenwald von New South Wales lebende Baumart. Desweiteren bestehen phänologische, d.h. vom Aussehen bestimmte Verwandtschaftsbeziehungen zu Gattungen der Zypressengewächse, insbesondere den japanischen Sicheltannen, den Cryptomerien der Gattung Cryptomeria oder manchen Arten der Taxodiaceen.
Schon vor vielen Jahren wurden Araukarien als botanische Besonderheiten von ihren ursprünglichen Wuchsorten nach Europa gebracht und dort als Zierpflanzen verbreitet. Die bekannteste Art aus dieser Familie ist daher die sogenannte Zimmer- oder Norfolktanne (A. heterophylla), deren Jungpflanzen sich wegen ihres symmetrischen Wuchses und der zarten Blattnadeln hoher Beliebtheit als Wohnraumdekorationspflanze erfreuen. Doch nur einen einzige Art der an tropisch-subtropische Klimata gewöhnten Araucarien wächst auf der Südhalbkugel unseres Planeten in mit Mitteleuropa vergleichbaren Klimaregionen und verfügt somit naturgemäß über die notwendige Frostresistenz, die Voraussetzung für eine Anpflanzung im Freiland und ein Überleben an ungeschützten Standorten im Freien bei niedrigen Wintertemperaturen von bis zu - 20 Grad Celsius ist. Es ist dies die Chilenische Araucarie Araucaria araucana, ein mythenumrankter Baum, der nur in einer sehr begrenzten Region der Vulkan-Hochanden im südchilenisch-argentinischen Grenzgebiet natürlich vorkommt.
Verbreitungskarte von Araucaria araucana (grün umrandetes Areal) in Südchile und Argentinien.
Die Limitation der natürlichen Verbreitung der Chilenischen Araukarie ist bedingt durch ihre hohen Ansprüche an ihre spezifischen Standortbedingungen. Zwar wächst die Araukarie auch in anderen Regionen, doch vermehren, das heißt Ausbilden nicht steriler Früchte und deren Nachwuchs am Wuchsort der Mutterpflanze, kann sich der Baum nur, wenn eine exakte Kombination von Temperatur, Jahreszeitenwechsel, Bewässerung durch Niederschlag und Bodenverhältnissen gleichzeitig zusammen existieren, wie es im von Vulkanascheböden bestimmten Hochandengebiet zwischen den Städten Coronel, Puerto Montt und Neuquen der Fall ist.
Diese hochspezifische Anspruchskombination, der hohe Wert des Holzes der sehr, sehr langsam wachsenden Bäume, die große Nachfrage für den Export des Jungwuchses als Zierpflanzen nach Europa sowie die Nutzung der Früchte der "Andentanne" als wertvolle Nahrungsreserve in harten Winterzeiten durch native Indianervölker hat als Wirkungsfaktorkombination in der aktuellen Gegenwart fast zur Ausrottung der ursprünglichen Pflanzenbestände geführt - ein gefährlich-dramatischer Zustand, denn die exportierten Bäume wachsen zwar gut an ihren neuen Standorten auf, können sich dort aber nicht vermehren, da ihre Früchte steril bleiben. Dies würde bedeuten, daß ohne strikte Schutz- und Förderungskonzepte für die Araucarien in Südchile diese außergewöhnlich wertvolle und besondere Pflanzenart in wenigen Jahrzehnten ganz von der Erde verschwinden würde.
Einzelne reife Samen aus dem Fruchtzapfen einer Araucarie
Weilmünster, 27. September 2013
Die Vermehrung der Araucarien
Der Grund für die Vermehrungsunfähigkeit der in Europa wachsenden Araucarien ist vermutlich darin zu suchen, daß keine Araucarienwälder oder größere Baumassoziationen existieren und daß auskeimende Früchte nur selten geeignete Bodenbedingungen vorfinden, die ihr natürliches Anwachsen ermöglichen würden. Die Bäume erfreuen sich zwar großer Beliebtheit als Zierpflanzen, doch werden diese wegen ihres Raumbedarfes und der Verletzungsgefahr an tiefhängenden Ästen fast ausschließlich als Einzelbäume in Gärten oder Parks angepflanzt. Zur Vermehrung ist aber die Platzierung männlicher Pflanzen in unmittelbarer Nähe weiblicher Bäume notwendig, wobei als weiterer vermehrungslimitierender Faktor hinzukommt, daß männliche Bäume erst ab einem Alter von ca. 30 Jahren beginnen, Blütenzapfen auszubilden.
Die Vermehrungsphase der Araucarien beginnt durch einsetzende Knospung an den Enden der Wuchsachsen. Männliche Pflanzen bilden dort Blütenzapfen aus, weibliche Fruchtzapfen, die aus zusammengesetzten Samen bestehen, welche nach der Fruchtreife langsam auseinanderfallen. Die Samen fertiler Früchte enthalten wohlschmeckende Kerne mit hohem Öl- und Nährstoffgehalt.
Araucaria araucana. Männliche Blütenzapfen.
Frankfurt Palmengarten Sommer 2009
Araucaria araucana. Männliche Blütenzapfen.
Frankfurt Palmengarten Sommer 2009
Araucaria araucana. Knospung und Weiblicher Fruchtzapfen.
Weilmünster 18. Juli 2013
Araucaria araucana. Aufwachsender Weiblicher Fruchtzapfen.
Weilmünster 18. Juli 2013
Araucaria araucana. Heranreifender Weiblicher Fruchtzapfen.
Weilmünster 18. Juli 2013
Araucaria araucana. Gereifter Fruchtzapfen zum Zeitpunkt der beginnenden Zerteilung.
Weilmünster 27. September 2013
Araucaria araucana. Zerfallener Fruchtzapfen mit verbliebener Zentralachse.
Weilmünster 27. September 2069
Die Fruchtzapfen von Araucaria araucana erreichen an ihren natürlichen Standorten Durchmesser von bis zu 20 cm und ein Gewicht von 3-4 Kilogramm. Sie sind zusammengesetzt aus 20-140 keimfähigen und eßbaren Einzelsamen sowie einer Vielzahl steriler Samenschuppen. Die Samen messen in der Länge von 2,5 bis 7,2 cm haben eine Breite von bis zu 2,5 cm. Die feste, ledrige Schale umhüllt vollständig eine nußähnliche Trockenfrucht, die zu 80% aus Kohlehydraten und etwa 9% Proteinen besteht. Bei einzel wachsenden Araucarien in Europa bleiben die Samenhüllen hohl, da keine vermehrungs- bzw. keimfähigen Früchte entstehen.
Samen von Araucaria araucana. Gesamtlänge ca. 7 cm
Weilmünster, September 2013
Theoretisch vermehrungsfähige männliche und weibliche Araucarien im Andentannen-Arboretum des Frankfurter Palmengartens im Jahre 2007
Ethnobotanik
Die erwachsenen Bäume produzieren etwa ab dem 30. Lebensjahr jährliche Ernten, wobei die Erntemenge schwankt und im 3-Jahres Rhythmus jeweils besonders reichhaltige Ernten entstehen sollen. Ethnobotanisch interessant ist, daß 3 Araucarien-Arten mit vergleichbarer Fruchtproduktion, die in unterschiedliche Weltregionen wachsen, eng mit Naturvölkern assoziiert sind, die sich auf die Ernte der Araucarien-Früchte spezialisiert haben. Es handelt sich um folgende Arten, Regionen und Völker:
Araucaria araucana - Anden Süd-Chile & Argentinien - Pehuenche Indianer
Araucaria angustifolia - Brasilien Rio Jacui / Porto Alegre - Kaingáng Indianer
Araucaria bidwillii - Australien Ost Queensland / Bunya Mountains - Kabi Indianer.
Der Name der einstmals in den Hochanden Chiles lebenden Pehuenche leitete sich direkt vom indigenen Namen der Bäume ab, die in der Sprache der südchilenischen Mapuche-Indianer "Pehuen" genannt werden, während der Zusatz "Che" Mensch bedeutet. Pehuenche sind somit die "Araucarien-Menschen". Der heute als selbständig definierte Ethnie verschwundene und vermutlich im Stamm der Mapuche aufgegangene Indianerstamm der Araucarien-Menschen wurde erstmals im Jahre 1563 von einer Expedition spanischer Marine-Soldaten unter Capitan Pedro de Leiva registriert, die die Pehuenche als "schlanke, hochgewachsene Indios" beschrieben, welche sich "von Piñones (Piniensamen) eines seltsamen Baumes ernährten". (Aus: Golte, Winfried (1983): Araukariensamen als Nahrungsgrundlage. Erdkunde Bd. 37/1983 227-236).
Darstellung Araucaria-Samen erntender Pehuenche
"Los Piñales de Nahuelbuta"
Aus: C.Gay (1966): Atlas de la Historia Fisica y Politica de Chile. Paris.
Zur Herbstzeit der Südlichen Breiten, von Mitte März bis Mai, zogen die Pehuen Indianer in Gruppen mit Zelten in die Araucaria-Region, deren Verbreitungsareal auf 800-1300-1600 Metern über Meersniveau liegt, wobei die Bäume in tieferen Lagen in Mischwäldern zusammen mit den sogenannten "Südbuchen" der Gattung Nothofagus wachsen. Unter den Stammesmitgliedern waren die Baumbestände in eigentumsähnlicher Form aufgeteilt, wobei man davon ausgeht, daß der Fruchtertrag von 18 Araucarien ausreichte, um den Kohlehydratbedarf einer Person für 1 Jahr zu decken, wobei eine Zahl von 20-30 Zapfen pro Baum und Jahr bestehend aus je 200-300 eßbaren Samenkernen zu Grunde gelegt wird.
Die Zubereitung der Früchte erfolgte durch die Frauen. Die Früchte wurden entweder frisch gegessen bzw. gekocht oder geröstet, ähnlich wie Eßkastanien. Als Wintervorrat wurden sie zuerst gesiedet und dann getrocknet und anschließend zu Mehl verarbeitet. Durch Gärung gewann man aus ihnen auch ein berauschendes Getränk (Chicha).
An Verletzungspunkt von Araucaria araucana austretendes Baumharz
Weilmünster, 6. November 2013
Neben der Nutzung als Nahrungspflanze hat die Araucarie bei der einheimischen, insbesondere indianischen Bevölkerung desweiteren wichtige Bedeutung als Medizinalpflanze, und zwar insbesondere in Bezug auf die heilenden Wirkstoffe in den Pflanzensäften der Bäume. An Verletzungspunkten der Bäume, insbesondere an der Rinde und an Abrißstellen der Wuchsachsen, setzt Araucaria araucana ein weißlich-trübes, zähflüssiges und wohlriechendes Baumharz mit Zitruspflanzen- bzw. Zitronenmelissen-Aroma frei. Beschrieben und nachgeprüft ist die erstaunlich schnelle Wirksamkeit dieses Baumharzes bei der Unterstützung der Wundheilung bei leichten Hautverletzungen, schwer heilender, rissiger Haut, Entzündungen und Ekzemen.
Nach Informationen von C. Rechene (2007) nutzen die Indianer bzw. Einheimischen die antibakterielle Wirkung des Araucarienharzes als Desinfektionsmittel. Das von Generation zu Generation weitergegebene, ethnomedizinische Wissen der Pehuenche und Mapuche beruht dabei auf Erfahrungswerten der praktischen und experimentellen Anwendung. Wissenschaftliche Untersuchungen der Inhaltstoffe des Araucarien-Harzes und daraus abgeleitet entwickelte Heilmittel wie Wundsalben etc. sind hier nicht bekannt. Ebensowenig liegen Daten zur kommerziellen Nutzung des Baumharzes von Araucaria araucana vor, wie sie beispielsweise in Form der aus den verwandten Kauri-Bäumen der ostasiatischen Agathis-Arten gewonnenen Kauri- oder Manila-Kopale zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zur industriellen Naturstoffgewinnung noch eine bedeutende Rolle spielte.
Wegen des, in Anden-Gebirgshöhenlagen mit Winterjahreszeiten im Vergleich zu den Mittelgebirgs- oder Tieflandstandorten der verwandten brasilianischen oder ostasiatischen Araucariaceae deutlich langsameren Wachstums der Chilenischen Araucarie ist vermutlich die forstwirtschaftliche Rohstoffgewinnung aus den selteneren Andentannen zu weniger Bedeutung gelangt, als dies beispielsweise bei
Araucaria angustifolia in Brasilien der Fall war, deren ehemals flächendeckende Waldbestände wegen des wertvollen Holzes in ihren Ursprungsregionen heute nach Literaturangaben weitgehend verschwunden sein sollen. Trotzdem sind auch die chilenischen Araucarien-Bestände durch die Verarbeitung des Holzes zu Möbeln und Furnieren mittlerweile so stark dezimiert worden, daß sie international als "bedrohte Art" auf die "Rote Liste" gesetzt wurde und der Handel mit ihr nach dem CITES-Artenschutzabkommen heute untersagt ist.
Dahingegen ist die indianische Nutzung der Bäume an deren Ökologie und Bestandbewahrung angepaßt. Der Baum gilt bei den Einheimischen als "heilige Pflanze", verwendet werden nur ihre regenerierbaren Teile, die Pinienkerne und das Harz. In einmal bestehenden Araucarien-Wäldern ist die Entnahme der Früchte nicht bestandsgefährdend, da der Nachwuchs durch die Bestandsdeckung sowieso limitiert ist. Sind heute aber nur noch Reliktpopulationen vorhanden, dann stellte die massive Entnahme von Samen als Nahrungsmittel oder Exportsaatgut einen erneuten bzw. weiteren Bestandsgefährdungsfaktor dar. Es ist also wichtig zuerst sicherstellen, daß die noch existierenden Bestände sich wieder bestandsbewahrend vermehren, bevor weitere Entnahmen von Araucarien-Samen aus den natürlichen Beständen erlaubt werden können. Unterstützend könnten hierzu die Vermehrung eines bestimmten Prozentsatzes des Pflanzennachwuchses in regionalen Baumschulen und deren Wiederauspflanzung an den natürlichen Standorten wirken.
Ungestört können die Bäume ein Alter von 1.500 Jahren erreichen und vermutlich auch noch älter werden. Als Pflanzen des Mesozoikums werden die Araucarien heute bisweilen als "Lebende Fossilien" bezeichnet und gleichen darin ihren "Urwelt-Verwandten" in Nordamerika, den Sequoias aus Californien und Oregon.
Stamm und Äste eine etwa 40-jährigen Araucarie
Weilmünster, 6. November 2013
Indianische Symbolik und Mythologie der Bäume sind bestimmt vom wehrhaften Aussehen der mit messerscharfen Nadelschuppen besetzten Stämme der jüngeren Pflanzen, die eine direkte Annäherung unmöglich machen. Diese Tatsache stellt auch die bereits oben zitierten historischen Berichte spanischer Reisender in Frage, in denen die Ernte der Fruchtzapfen mittels Lasso "oder durch Besteigen der Bäume" erwähnt wird. Ein Klettern entlang des Araucarien-Stammes oder Astes ohne Schutzanzug wäre unmöglich. Erst bei älteren Bäumen, die dann zu Wuchshöhen bis 40 Metern aufwachsen, fallen die Blattnadelschuppen der unteren Stammregion ab
Indianischen Ursprungs ist vermutlich der Name "Schlangenbaum", wobei beim Anblick der Schlangenkörper suggerierenden Äste symbolische Assoziationen zum "Kopf der Hydra" entstehen könnten. Auch der christlichen Symbolik und Vorstellungswelt nahe ist der Baum im Bezug zur "Dornenkrone", was jeglichen weiteren diesbezüglichen Phantasien Tür und Tor öffen mag. Weitaus abstrakter ist der von Nordamerikanern verwendete Populärname "Monkey Puzzle Tree" oder Affenschwanzbaum. Schuppentanne, Andentanne, Chilenische Schmucktanne und Chilenische Araucarie sind die bei weitem gebräuchlichsten Namen für diese Pflanze. Im Spanischen sind die Bezeichnungen
pehuén, piñonero,
pino araucaria,
pino chileno und
pino de brazos gebräuchlich. Desweiteren ist die Araucarie sicherlich eine der wenigen Pflanzen, der man keinerlei verborgene sexuelle Symbolik nachzusagen vermag.
Wissenschaftliche Synonyme für den Artnamen
Araucaria araucana sind:
Pinus araucana Mol., 1782,
Dombeyana chilensis, Araucaria imbricata, Columbea quadrifaria, Araucaria chilensis, Araucaria dombeyi.
Der "Schlangenbaum" Araucaria araucana
Weilmünster, 6. November 2013
Seitenastspitze von Araucaria araucana
Weilmünster, 6. November 2013